Vor dem dritten Tag


Am ersten Tag dürfen wir in die Heide, am zweiten Tag in die Dünen und am dritten Tag endlich an den Strand und ans Meer. Meine Mutter weiß, was unserer Gesundheit gut tut und geht deshalb so behutsam mit uns um. Es ist eine schrittweise Gewöhnung an ein fremdes und wo-möglich gefährliches Klima.

Aber bevor wir die Heidelandschaft erreichen, marschieren wir hinter-einander einen sehr schmalen Sandweg entlang, und unsere Mutter er-mahnt mich und meine Schwester, auf keinen Fall auf die Pflanzen zu treten. Ich sehe auch ein Hinweisschild mit einer schwarzen Eule. Wäh-rend ich die Rücken meiner Schwester und meiner Mutter im Auge be-halte, berühre ich rasch eines der violetten und harten Kräuter. Auf der nächsten Bank setzen wir uns hin, und meine Mutter verteilt Kuchen. Ich kann aber nicht sehen, ob meine Schwester ein größeres Stück als ich be-kommt, weil die Stofftasche meiner Mutter und die Papiertüte aus der Bäckerei mir den Blick versperren. 

Unsere hellen Sonnenhüte schützen uns vor der Sonne, der unruhige Wind geht merklich durch unsere Wolljacken, und besonders unter der Bank hindurch bläht er die Röcke unserer Sommerkleider auf. Ich finde, dass meine Mutter mit ihrem hohen Stoffhut fast wie eine Zauberin aussieht. Ich schließe mit mir eine kleine Wette ab, dass wir aufgegessen haben ohne ein Wort miteinander zu wechseln, denn ich bin überzeugt, dass der Kuchen, den wir gerade verzehren, uns deshalb unsterblich ma-chen kann. Eigentlich müsste ich dringend auf Toilette und mich zu Wort melden, aber dann würde ich meine eigene Wette verlieren. Deshalb presse ich meine Oberschenkel fest zusammen.

Wenn wir morgen in den Dünen sitzen, werde ich versuchen, einfach unbemerkt auf eine Düne hinaufzulaufen, um wenigstens einen Blick auf das Meer zu werfen, das ich noch nie gesehen habe. Es wird sich noch zeigen, ob der Zauber meiner heimlichen Wette stärker ist, als die An-weisungen unserer Mutter.